Ja, wir sind hier im bisher schönsten Teil unserer Reise angekommen: im chilenischen Seengebiet um Osorno herum. Und zudem ist hier schönster Frühling, alles blüht und ist farbenprächtig. Die Landschaft ist einzigartig schön, so eine Mischung aus Schwarzwald, Allgäu und den Berner Alpen. Nur mit vielen, vielen Vulkanen eben…
Und Chile überhaupt ist so anders, als das bisher Gesehene. Die Straßen sind super gut in Schuss, Geschäfte und Supermärkte sind überall in den größeren Städten, Kreditkartenzahlung ist meist kein Problem. Das erträumte „Abenteuer“ wird wohl erst ab Puerto Montt beginnen, wenn wir weiter südwärts nach Patagonien vorstoßen. So dachten wir…
Nun, man soll sich niemals sicher sein, dass alles so einfach bleibt, wie man es im ersten >Moment wahrnimmt. Das Schicksal hängt oft von ganz kleinen Entscheidungen ab, wie links oder rechts herum. In unserem Fall: fahren wir von Pucón, einem kleinen Touristenort am Lago Villarrica zu den Naturthermen den langen oder den kurzen Weg? Der lange Weg führt über Teerstraßen und zehn Kilometer guter Schotterpiste zum Ziel, der Kurze durch den Nationalpark Villarrica am Fuße des gleichnamigen Vulkans. Der Reiseführer schreibt dazu: „Die teilweise schlechte Piste ist für geübte Fahrer in 4x4 Fahrzeugen geeignet.“ Ob ich nun ein geübter Fahrer bin, mag (insbesondere bei einigen Freunden…) umstritten sein, das unser SCAM ein echtes 4x4 Fahrzeug ist, dass dürfte bewiesen sein. Also klar, wir nahmen den kurzen Weg, so schlimm kann es ja in Chile gar nicht sein!
Anmerkung der Beifahrerin: Nur für’s Protokoll - ICH wollte den langen Weg fahren!!!
Was dann kam, werden wir hoffentlich niemals wiederholen! Die anfänglich perfekte Schotterstraße endete am Nationalparkeingang. Soweit nicht schlimm, denn die nachfolgende Off-Road-Strecke hatte auf den ersten drei Kilometern noch bolivianischen Schwierigkeitsgrad und wir machten noch munter Fotos – hatten einen Heidenspaß mit unserem Abenteuer. Als die Straße dann die Form eines ausgewaschenen Bachlaufs annahm, kamen mir (gerüchteweise) erste Zweifel. Da war es ja nur beruhigend, dass uns ein deutsches Paar zu Fuß entgegen kam und auf unser Nachfragen bestätigte, dass der Weg später schon wieder besser wird. Zweifel hätten da bei mir aufkeimen sollen, wegen dem durchaus skeptischen Blick und dem „später“…
Nach einem weiteren, sehr langen Kilometer dann: die Vernunft! Anke sollte erst mal mit Funk den Weg abgehen und prüfen, ob ich nachkommen kann. Denn Wenden war nun nicht mehr absehbar. Nach 20 Minuten kam dann ihr O.K. und Hoffnung keimte auf. Sie währte leider nur circa 200 Meter. Dann versperrte ein armdicker Ast meine Weiterfahrt – Schei(Zensur)e! Also ich Leatherman-Säge raus und Ast ab. Gleichzeitig fluchen und dabei übersehen, das beim Weiterfahren ein Felsbrocken das Auto rechts anhebt, also der Aufbau sich nach links neigt und – schwups - hat der Rest des abgesägten Astes zwei schöne Schrammen in den Aufbau gestanzt. Noch mehr Fluchen, aber mittlerweile hat ja der Urlaub seine Spuren hinterlassen: also akzeptiere (ohne Missmut!!), was Du nicht mehr ändern kannst… Hab ich gemacht, funktioniert und kann ich weiterempfehlen.
Und dann 200 Meter weiter der nächste, diesmal dickere Ast! Wozu geht meine Frau eigentlich den Weg ab, hä?? Hat sie sich an der schönen Fauna erfreut, Pilze gesammelt oder was zum Henker??? Also Ast wieder ab, diesmal mit mehr Aufwand, Frau einsammeln, Grundsatzdiskussion über Wegabgehen führen und wieder weiter.
Anmerkung der Beifahrerin: Der Auftrag lautete lediglich „Schauen ob wir noch auf dem richtigen Weg sind“ – von Strecke auf Breite und Höhe prüfen war da keine Rede!!
Anmerkung des Verfassers zu Anmerkung der Beifahrerin: … ohne Worte … ! Die weibliche Logik wird für Männer immer ein Rätsel bleiben – wer anderes behauptet lügt!!!!
Dann wird das Bachbett immer furchiger, felsiger und zudem zeigt das GPS eindeutig an, dass wir direkt den Vulkan hinauffahren. Sind wir wirklich noch richtig? Wieder abgehen, weiterfahren, abgehen, weiterfahren. Wie im Gameboy, immer eine Stufe weiter und schwieriger. Dann stehen wir vor einem, vom Sturm quer über die Straße gefallenen Baum und da passen wir wirklich nicht mehr drunter durch. Genau genommen und nach eingehendster Analyse kommen wir mit jeweils fünf Zentimetern „Luft“ links und rechts vielleicht gerade durch, wenn wir einen oberschenkeldicken Ast des Baumes entfernen. Dem aufmerksamen Leser wird die Leatherman-Säge nicht entgangen sein, dieses winzige, klitzekleine Spielzeug – richtig, wir haben viel dabei - nur keine Säge!
Welch unverzeihliches Versäumnis!!!
Anmerkung der Beifahrerin: Aber Hauptsache, wir haben ein halbes Lazarett an Bord!
Also Axt raus, Hocker aufgestellt und über Kopf auf Zehenspitzen schnell mal drauf losgehackt. In nur einer Stunde war der Ast weg und ich durchtrainierter Kämpfer nahe dem Heldentod. Dafür wurde die Strecke nun immer schlechter. Furchen mit mehr als 50 Zentimetern Tiefe, Felsblöcke und Steigungen und … der nächste Baum.
Halleluja! Und langsam wurde es immer später. Kriegsrat: Übernachten und tags darauf mir neuen Kräften weiter? Soll ich etwa aufgeben – kann ich genetisch bedingt gar nicht, ist schon immer eine Schwäche! Also gehe ich diesmal selber den Weg ab. Was dann kommt, ist nicht lustig: eine kleine Brücke, die morscher nicht aussehen kann, eine Trial-Strecke (mit Fahrzeugen über Felsen balancieren), eine große Brücke mit offensichtlichem Defekt und eine, im wahrsten Sinne, unergründliche Schlammpassage. Dafür wird der Weg dahinter wirklich besser…
Auch diesen Baum haben wir also auf unsere Höhe angepasst, bei der morschen Brücke sind wir mit dem rechten Hinterrad eingebrochen (hat das Rücklicht gekostet und die Stoßstange verbogen), die Trial-Strecke und das tiefe Schlammloch hat der SCAM mit allen Sperren und der Geländeübersetzung gemeistert und die letzte Brücke wurde dank der Verstärkung durch unsere Sandbleche gerade noch so überquert. Nicht, weil es so reizvoll wäre, sondern weil der Rückweg einfach nicht mehr hinzukriegen war. Dann wurde der Weg besser, das GPS zeigte nun das richtige Ende des Nationalparks an und gerade wollten wir jubeln, als es nach einer Kurve plötzlich da war, das Ende der Fahrt – ein Baum quer über den Weg. Kein Bäumchen, ein echter Baum!
Mittlerweile wurde es dunkel, Verzweiflung trat in die Augen und wir entschlossen uns, einfach stehen zu bleiben und am nächsten Morgen weiter zu schauen. Taten wir auch, aber trotz aller Versuche, eine alternative Variante zu finden, der Baum konnte nur mit der Axt gefällt werden. Nach zahllosen Schlägen, die den Muskelkater nur noch schlimmer werden ließen, war es dann geschafft. Mit Hilfe des SCAM und der Schleppgurte wurde der angehakte Baum geköpft, weggezogen und die letzten Meter des Nationalparks zurückgelegt.
Anmerkung der Beifahrerin: Für alle Naturschützer unter den Lesern - die Bäume waren vom Sturm ausgerissen und bereits „tot“ ;-)
Nie mehr wieder sowas!!! Dafür haben wir dann einen traumhaften Tag in Chiles schönster Naturtherme „Termas Geométricas“ verbracht. Diese haben die Chilenen direkt in einen Bachlauf integriert und das entschädigte dann doch für einiges. Besonders der Muskelkater wurde im 35 Grad heißen Wasser gelindert.
Nun sind wir in Puerto Montt, dem Tor zu Patagonien, angekommen. Hier hat der SCAM nun all seine Checks und eine gute Portion Motorenöl mit (!) neuem Filter erhalten – so ein braves, tolles Auto – und hier bereiten wir uns nun auf den wilden Süden vor. In den kommenden Wochen wird es wohl von unserer Seite wieder ruhiger werden, denn nun werden die Siedlungen wirklich klein und selten. Dafür wird die Natur noch gigantischer und sicher stehen dann um Weihnachten herum wieder ein paar schöne Bilder von uns im Netz.
Bis dahin wünschen wir allen eine schöne Vorweihnachtszeit. Und vor Allem: Genießt das Leben und meidet den Stress!!
P.S.: … übrigens war das Erste, was wir nach dem Nationalpark Villarrica besorgten, eine große Säge im nächsten Baumarkt …
Anmerkung der Beifahrerin: und wenn sie uns an der Grenze nicht wegen Medikamentenschmuggel verhaften, dann ganz sicher wegen Waffenbesitz ohne Waffenschein!!!
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