Auf 2.400 Metern

04.08.08 20:09

... im Farn- und Nebelwald des Amboró-Nationalparks

Als kleiner Junge wünschte ich mir oft, mal die Welt von oben zu sehen. Da habe ich auch wirklich geglaubt, dass man auf einer Wolke sitzen könnte, wenn die nur dicht genug wäre, so etwa wie ein ganz, ganz fetter Wattebausch. Damals hätte das sicher auch geklappt. Heute muss ich mir nur einen Wattebausch ansehen, wenn ich darauf gesessen bin, um nicht weiter darüber nachdenken zu wollen …
Und dennoch, hier sitzen wir nun im Amboró-Nationalpark in einem Farn- und Nebelwald und um uns herum ziehen die Wolken vom Wind gepeitscht vorbei. Und vollkommen egal was der „erwachsene“ Verstand nun zum Sitzen auf einer Wolke sagen würde, hier sind wir nun tatsächlich mal in, mal unter und ja sogar mal auf den Wolken. Es geht also doch!!!

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Und abgesehen von den Wolken haben wir hier einen Wald voller riesiger Farnbäume von bis zu fünf Metern Höhe und eine Aussicht, die aus dem geplanten Tag Aufenthalt gleich mal wieder drei haben werden lassen. Es ist einfach viel zu schön um gleich wieder weiter zum nächsten Punkt zu hasten. Das ist überhaupt zu unserem Motto geworden: „Wir bleiben da, wo es uns gefällt und zwar solange wir wollen.“ Das hatte bereits in Santa Cruz zu einer knappen Woche Aufenthalt geführt und auch auf dem weiteren Weg in Samaipata, einem für unsere Verhältnisse verschlafenen Berg- und Touristenort, war es genau das Gleiche.

In Santa Cruz standen wir außerhalb der Stadt auf dem Gelände des bolivianischen Automobilclubs und erlebten so, was es bedeutet mit colectivos (private Sammel-Kleinbusse) unterwegs in die Stadt zu sein und endeckten langsam den bolivianischen Alltag sowie die sagenhaften Sanddünen Lomas de Arena. Und in Samaipata standen wir dann auf dem Hof des deutschen Hotels Landhaus, endeckten - endlich! - mal wieder richtiges Brot, guten Käse und tolle Wurst. Wie das? Ganz einfach: man nehme einen Franzosen, einen Schweitzer und einen Deutschen – na, wer macht wohl was? Klar, der Franzose das Brot, der Schweitzer den Käse und der Deutsche die Wurst… nach den zahllosen mageren Erfahrungen mit der industriell gefertigten südamerikanischen Einheitspampe war das fast schon wie im Paradies. Überhaupt lernt man auf so einer Reise, einfache Dinge wieder bewusster zu erleben und sich sogar über ein Brot zu freuen, wie zuhause über einen kleinen Lottogewinn - sagen wir mal, ‘nen Vierer…

Das leitet über zu einer Frage, die wir per E-Mail gerade erhalten haben: „Kriegt man bei so einer Reise nicht mal ‘nen Lagerkoller, wenn man ständig aufeinander sitzt?“

LaHiguera_4Klar, das ist eine Umstellung. 24 Stunden, sieben Tage die Woche auf mehr oder weniger acht Quadratmetern zusammen zu sein. Mann, die ersten Wochen waren mehr als anstrengend!
… manche Tage sind es heute noch ;-)
Und das obwohl wir ja zuhause in Opfingen in der kleinen Wohnung drei Monate „üben“ konnten. Und klar, Anke und auch ich hätten die „Göre“, bzw. den „alten Sack“ bestimmt mehrfach erschlagen können – aber irgendwie arrangiert man sich dann doch, gewinnt mit der Zeit sogar ein entspanntes Verhältnis (… nicht immer!) und fängt an, die längst vergessenen Dinge des Alltags wieder zu genießen. Nicht jeden Tag und immer gleich, aber ungemein intensiver als im „normalen“ Arbeits- und Alltagsleben. Vielleicht schaffen wir es ja, das dann eines Tages wieder mit rüber zu retten, wenn wir zurück sind. Den verschiedenen Reisebekanntschaften, denen wir unsere „Streitereien“ bei einem Gläschen Rotwein gelegentlich erzählen, gefallen die Geschichten jedenfalls offensichtlich. Bisher lagen am Ende immer alle Zuhörer lachend unterm Tisch und wir hatten so schon manche lustige Abende. Humor ist halt, wenn man auch mal über sich selber lachen kann – ich muss nur noch daran arbeiten, dass die immer nur über mich lachen…Paco_1

Und noch eins - auf vielfachen Wunsch hier ein Bild des selbstgeschneiderten Schlafanzugs für Paco aus Salta (siehe Bericht dort). Aus Rücksicht auf das „Opfer“ und weil jedes Wesen sowas wie ein Recht auf Würde verdient hat, habe ich auf eine Veröffentlichung photographischer Abbildungen bis dato verzichtet. Da nun die Nachfrage, ob es wirklich so schlimm war, doch von allgemeinem Interesse zeugt, soll der Betrachter selbst entscheiden:
 
Nachdem wir nun weitergefahren sind und auf den Spuren Chès wandeln, kommen wir auch immer weiter ins bolivianische Hochland hinein. Nach Samaipata besuchten wir Vallegrande, wo Chè Guevara nach seiner Hinrichtung der Öffentlichkeit gezeigt wurde. Heute ist aus dem ehemaligen „Terroristen“ ein Freiheitskämpfer geworden, mit dem sich immer mehr Geld verdienen lässt. In Vallegrande jedenfalls war der Wochenmarkt bei weitem interessanter als die Merchandising-Artikel von Chè. Nachdem wir es dann geschafft haben die Feinheiten der bolivianischen Straßen zu differenzieren, haben wir es sogar bis La Huigera geschafft, dem Ort an dem Chè am 10. Oktober 1967 im Schulhaus „hingerichtet“, bzw. einfach als Gefangener ermordet wurde.

Mittlerweile sind wir in Sucre, einer der ältesten Städte Boliviens, angekommen. Hier machen wir erst mal für einige Tage „Urlaub vom Urlaub“ ;-) Den haben wir auch echt nötig, denn die Fahrt von La Higuera nach Sucre war wirklich eine Herausforderung – die Straße ist in Teilen LaHiguera_1der seit Jahrzehnten gesperrten Passubio-Passstraße in den Alpen zum verwechseln ähnlich und daher kamen wir auch teilweise nur mit max. 20 km/h voran… Leider gibt’s davon keine Bilder, weil in den betreffenden Passagen wirklich keiner an Photos gedacht hat. Kein Wunder, wenn es rechts 200 Meter abwärts geht, die Straße halb abgerutscht ist, notdürftig mit drei wenig vertrauenserweckenden Baumstämmchen überbrückt wird und links die Felswand noch 10 Zentimeter Platz hat. Dafür haben wir hier nun ein wirklich nettes kleines Hostalzimmer mit eigenem (!) Bad und heißem (!!!!) Wasser. Dazu lernen wir nun am bolivianisch-deutschen Institut erst mal krass korrekt Spanisch. Aber davon demnächst mehr!